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28 Wochen biel/bienne Literatur

Erika Do Nascimento – 28 Wochen

Mein Papagei ist tot. Zwei Wochen, nachdem ich gegangen bin, hat er es aufgegeben. Er wollte weder essen noch trinken und eines Tages fiel er auf den Boden seines Käfigs, um nie wieder ein Wort zu sprechen. Wir hatten ihn zu Grossmutter gebracht, die nicht meditierte und auch nicht wollte, die zu viel Zeitung las und wie eine Zeitung berichtete.

Vielleicht las sie ihm zu viel Zeitung vor.

Vater hatte Augen, wie die Vorkriegszeiten, grün waren sie. Diese Augen von frisch gemähten Wiesen im Sommer. Mit diesen Augen blieb er zurück. Er erkrankte.

Dann gingen wir in überfüllten Bussen und Zügen, wo alle etwas zu erzählen hatten. Wo alle reden wollten. Wo die Technik nichts mehr bedeutete, wo Jugendliche den Zügen hinterherrannten, wenn sie hielten, um uns Wasserflaschen zu schenken, oder Essen, oder Spielzeuge, sogar Schokolade, als wir zuerst durch alle Länder der Welt, nach Wien, dann zurück auf Polen gingen.

Ein Freiwilliger holte uns an der Grenze zu Polen ab, als meine kleine Schwester Fieber hatte und wir nicht rüber konnten. Wir kannten ihn nicht, vertrauten ihm jedoch. Er kam, nahm uns ins Auto, fuhr los. Ich, Mama und meine kleine Schwester. Vater war krank. Vater war geblieben, schaute aus dem Fenster, mit den Augen von Pflanzen im Wasser.

Der Mann hat meine kleine Schwester medizinisch versorgt.

Diese Geschichte erzählen sie nicht, oder? Jetzt wissen sie es auch.

Die Menschen waren freundlich.

Das schockierte mich.

Auch andere, die freundlich waren und Freundlichkeiten zurückbekamen, waren verdutzt.

Unsere Mantras, haben vielleicht doch was gebracht, sagte ich zu Mutter.

Mutter lächelte weisse Zähne aus dem Mund. Und ich war beruhigt, dass die Gewalt uns nicht ansteckte. Oder sie drang nicht in mich, in die Leute in meiner Umgebung, ein.

Vielleicht sind wir einfach genug früh gegangen.

Seitdem glaube ich fester an Menschen.

Schon lange träumte ich von Paris. Im Bus, im Zug, im Auto, in der Wartezeit, träumte ich von Paris. Als wir gehen mussten, wünschte ich, wir würden genau DORTHIN ziehen. Ich wollte eine grosse Künstlerin werden. Mutter sagte dann: Du wirst verhungern! Eine Künstlerin in der Ukraine hungert, sagte sie. Darum wollte ich eine Künstlerin in Paris sein.

Nach einem endlosen hin und her (Polen, Wien, Ukraine, zurück und fort) wurden wir der Schweiz zugeteilt.

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