Als die erste Bombe fiel, oder als die erste Hand abdrückte, oder als die erste Kugel jemanden traf, oder als das erste Gebäude fiel, oder als der erste Mensch fiel, oder als die erste Explosion den Boden meiner Stadt traf, oder als die Russen einmarschierten,
oder als die Nacht, Nacht war, dunkel war,
oder als der erste Jet oder Panzer über die Luft, über den Boden unserer Stadt flog, fuhr, oder als das erste Kind verletzt wurde, oder als die Menschen, in ihrem Bett lagen, oder als sie nicht schlafen konnten, oder als sie in ihren Träumen wanderten,
lag ich auch in meinem rosa Bett, in meinem Zimmer, wo meine braunen Möbel standen, wo mein kleines Radio stand, in meinem violetten Pyjama, unter meiner weissen Decke, in der Wohnung meiner Eltern, meiner kleinen, zwei Monate alten Schwester und meinem Papagei Timoscha, der sprechen und fluchen konnte, auf Russisch und Ukrainisch.
Ich wachte von einem Bärentraum auf.
Der Bär rannte, um mich zu schnappen. Ich öffnete die Augen, zuckte zusammen, sah zuerst schwarz, weil es im Zimmer dunkel war. Ich wollte mich für die Schule anziehen. Jeans, Nikes, blaues T-Shirt. Farbige Federohrringe, Ketten. Grüner Nagellack. Gerade, als ich etwas von Celine Dion spielen wollte, klingelte mein Telefon. Es war Grossmutter, die zu viel Zeitung las und an das Böse glaubte.
Der Krieg hat begonnen, sagte sie.
Draussen knallte es.
Nach dem Anruf warf ich das Telefon, weit weg von mir, aus Angst, ich würde abgehört werden, oder es würde eine Explosion geben, oder was-weiss-ich, was diese Leute sich alles ausgedacht hatten.
Ich stellte mir sofort vor, wie uns die Decke über den Kopf fiel, hielt mich am Stuhl fest und fragte mich, ob es fest weh tun würde. Ob wir herausgezerrt werden würden. Oder ob niemand kommen würde und dies das Ende sei.
Dann ging ich zum Fenster.
Da war er, der grosse Bär. Mit den grossen Krallen. Bereit über Spitäler, über Restaurants, Tabakwarenläden, über Tankstellen, über Fussballfelder, Wohnungen, Wälder und Gärten zu stampfen. Drückte, mit seinen riesigen Tatzen, den grauen Asphalt, mit dem Müll, an den Rändern der Gehwege runter und machte ein Loch in den Boden, wo Leute reinfielen.
Sie fielen ins Loch, während sie träumten,
in der Nacht,
um nie wieder vom Traum zurückzukommen,
am Tag.
Ich stand auf, rannte ins Zimmer meiner Eltern, wo die kleine Schwester schlief. Ich rüttelte am Oberkörper meines Vaters, der fest in die Matratze gesunken lag, bis er die Augen aufmachte, so grün wie die Vorkriegszeiten.
Der Krieg hat begonnen, sagte ich.
Draussen ist der grosse rote Bär, sagte ich. Ich habe von ihm geträumt.
Auch Mutter wachte auf. Das kleine Baby schlief. Sie wird später keine Erinnerung mehr haben. Ich wünschte, ich wäre sie.
Mutter fragte, was den los sei, ich sagte, er ist draussen.
Wer?
Der Krieg.
Er ist draussen und klettert durch die Fenster, er bricht in Türen ein, schleicht sich in die Zimmer, in die Duschen, hinunter in den Abfluss, in die Badewannen, ins Wasser, in die Stuben, in den Fernseher, in die Büros der Stadt, verbrennt die Vergangenheit, in die Küchen, in das Essen, in die Münder, in die Körper, durch die Haut, in die Organe und ätzt. Niemand erwartete ihn und doch sah ihn jeder kommen.
Putin, der SCHRECKLICHE.
Alles für nichts, sagte Mutter, die Tage davor meditiert hatte. Tausendundein Mantra, hatten ich und sie aufgesagt, um den Krieg von unserer Stadt, unserem Land fernzuhalten. Fast wären wir selbst zu Buddhas aufgestiegen. So viele Rezitationen, so viele Namen von Göttern auswendig gelernt, dass ich fast meinen eigenen vergessen hätte.
Sag sowas nicht, sagte ich zu Mutter.
Ich stellte eine Matte auf den Boden, nahm sie bei der Hand und wir fingen wieder an.
Vater war bodenständiger, er war unruhig, fast könnte man sagen, panisch, ging von Küche zu Stube, Stube zu Zimmer, zum Bad.