Mein Name ist Olha. Ich habe mehr als 18 Jahre in Kiew gelebt.
Nein, ich habe nie geboxt, aber als Kind habe ich Kampfsport gemacht. Aber ich weiss nicht mehr, wen ich verdroschen habe.
Ja, ich singe, während ich unter der Dusche stehe.
Soll ich singen? Ja, bitte singen.
Singt. „Entschuldige, falls ich dir wieder Schmerzen bringe …“
„Nein, du kannst wirklich singen, wir haben Zeit, ich nehme das auf.“
„Entschuldige, falls meine Träume so traurig sind … Es tut mir so leid, das war der Text.“
„Aha, das wusste ich nicht.“
„Ja … Es tut mir leid, wenn ich dir wieder wehtue. Ich mache dich traurig! Und es tut mir leid, dass ich dich schon wieder traurig mache.“
„War das auch noch der Text?“
„Ja.“
Es war so offensichtlich, dass der Krieg jederzeit beginnen könnte. Schon seit 2014 herrschte eigentlich Krieg in schleppender Form. Alle haben darüber geredet und nachgedacht, aber aus irgendeinem Grund wollte niemand daran glauben, dass der Krieg wieder richtig losgehen könnte. Er war ja gar nicht zu Ende. War er zu Ende?
Es gibt keine Formen oder Farben, die Kriege richtig darstellen können. Es ist eine Art Schlamm, eine Art Gelee, etwas Formloses, Dunkles, Unbekanntes, und es hat überhaupt keine Struktur. Krieg ist etwas Strukturloses. Ja, aber gleichzeitig ist er ja eine unglaubliche Organisationsbemühung. Wenn man sich überlegt, wie viel Energie in die ganze Logistik gesteckt wird, und wenn man das zum Beispiel mit der Energie vergleicht, die vorher nicht in die Bildung, nicht in die Gleichberechtigung, nicht in die Bekämpfung der Korruption gesteckt wurde, ist das schon verrückt.
Spätestens, als alle Flüge gestrichen wurden und sämtliche westlichen Botschaften schon vor den Weihnachtsferien schlossen, wurde es offensichtlich, dass sich etwas Schlimmes zusammenbraute.
Eine Woche vor dem Krieg erhielt mein Mann einen Anruf von seinem Chef, der ihm einen Umzug nach Lemberg und dann nach Budapest nahelegte. Warum wusste der Chef so gut Bescheid? Welcher Geheimdienst hat ihn informiert?
Wir weigerten uns! Wir werden nirgendwohin gehen. Wir gingen dann doch. Es gab von einem Tag auf den anderen keine Flüge mehr.
Ich fing an, zu weinen. Ich habe den ganzen Tag geweint.
Meine Mutter weinte nicht. Sie sagte nur: „Natürlich, Olechka, geh. Mach dir keine Sorgen um uns, alles wird gut.“
Ich glaube nicht, dass meine Mutter das ernst meinte.
Ich weinte noch mehr. Einen halben Tag lang, weil es mir vorkam, als würde ich alle verraten. Aber meine Mutter sagte nur immer wieder: „Mach dir keine Sorgen um uns, alles wird gut.“
Ich wollte nicht weg. Der Chef meines Mannes rief wieder an: „In Budapest wartet eine Wohnung auf dich!“
Warum wusste der Chef so gut Bescheid? Welcher Geheimdienst hat ihn informiert? Woher hatte die Firma das Geld?
Wir fuhren mit dem Auto nach Budapest, damit wir mit dem Auto auch wieder zurückkehren könnten. Das Auto wurde dann gestohlen, wir wissen nicht, wo es jetzt ist. Wir sind nie wieder zurückgekehrt. Das Auto wurde gestohlen. Das Auto ist weg.
Ich konnte nichts tun. Das Einzige, das mich dazu brachte, etwas zu tun, war mein Kind. Ich verbrachte die ersten drei Tage komplett im Internet. Cherson wurde besetzt, da leben meine Eltern, meine Schwester, meine Grossmutter, der Grossvater, der Onkel, die Cousins, die Schwester. Meine ganze Familie.