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7 Minuten basel Bildende Kunst

Thomas Zollinger – 7 Minuten

Basel Visual Art 05.05.2023

Collaboration

Anna Savitska / Thomas Zollinger

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7 Minuten Musik zürich

Anna Zakharova, Olga Kutsan and Choir – 7 Minuten

Anna Zakharova, Olga Kutsan and Choir – 7 Minuten

DE

7 Minuten – In diesem Auszug haben wir versucht, die Erfahrungen einer Ukrainerin zu vermitteln, die versteht, dass der Krieg begonnen hat: von Angst und Panik bis hin zur einfachen Annahme und hysterischen Verlesung des Hauptgebets – Vater unser! Jemand beruhigt das Kind, jemand schnappt sich einen besorgten Koffer, jemand schreit und flucht – jeder hat seine eigene Welt! 

UKR

7 хвилин – В цьому уривку ми намагались передати переживання української жінки, яка розуміє, що почалась війна: від страху та паніки до простого прийняття та істеричного прочитання головної молитви-Отче наш! Хтось заспокоює дитину, хтось хапається за тривожну валізу, хтось кричить та шле прокльони – у кожного свій світ! 

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7 Minuten biel/bienne Literatur

Michael Stauffer – 7 Minuten

Michael Stauffer – 7 Minuten

Mein Kind ist immer dabei. Es gibt keine Möglichkeit, richtig zu denken, 

ich bin immer mit dem Kind beschäftigt.

Es war Morgen, kurz vor dem Sonnenaufgang. Ich war im Schlafzimmer in der Stadt Krywyj Rih (Кривий Ріг). Ich war zu Hause, ich habe geschlafen, ich wurde durch eine Explosion geweckt. Es waren zwei Explosionen. Ich war bei mir zu Hause. In einem fünfstöckigen Gebäude. Ich bin wegen der Explosionen aufgewacht. Es war ein grosser Schock. 

Es gibt noch ganz viele andere Eindrücke, aber ich kann die nicht teilen. 

Wer denkt, dass man die teilen kann? 

Die kann man nicht teilen. 

Noch einmal die Frage, bitte. Entschuldigung, ich brauche eine Pause.

Es herrschte ein undefinierbarer Schmerz.

Es herrschte die absolute Angst. Die absolute Angst. 

Die Unfähigkeit, diese Ereignisse zu kontrollieren oder zu verändern. Das war die schockierende Realität, diese Explosionen. 

Und der Schock, der Schock. Mein Mann geriet in Panik. Das hat mich noch mehr verletzt, dass er nicht richtig funktioniert hat. Das war eine grosse Enttäuschung. Und andererseits freute ich mich darüber, es hat gezeigt, wie er wirklich ist.

Das muss ich dir jetzt sagen, ich lasse mich scheiden! Das ist der grösste Witz, mein Land ist im Krieg und ich bin im Krieg, alles ist im Krieg.

Ich habe sozusagen auch Krieg zu Hause. Es gibt also Krieg auf allen Seiten und an allen Fronten.

Mein Selbstvertrauen ist jetzt viel grösser. Es ist mir nicht mehr möglich, so zu leben. Es ist mir nicht mehr möglich, Unhöflichkeit und Grobheit zu tolerieren. 

Wenn ich ein Mann wäre, wäre ich in der Ukraine geblieben. Selbst wenn ich keine Kinder hätte, würde ich als Mann bleiben und in den Krieg ziehen. Ich bin dankbar, dass der Krieg das Wesen meines Mannes enthüllt hat.

Das meinst du wirklich, dass es besser wäre, wenn dein Mann in die Ukraine zurückkehren würde, um sein Vaterland zu beschützen?

Ich denke, es wäre besser, wenn es überhaupt keinen Krieg gäbe.

Ja, aber eben hast du behauptet: Dein Mann sollte in die Ukraine zurück.

Ja, und? Wir werden ja bombardiert, nicht du!

Ja, aber ich möchte dir sagen, dass, wenn ich dein Ehemann wäre, ich auch versucht hätte, mit dir und unserem gemeinsamen Kind in der ersten Minute oder Sekunde wegzulaufen. Ich hätte ebenfalls für kein Land der Welt auch nur einen Bruchteil einer Sekunde lang mein Leben riskiert. Natürlich sind wir nicht verheiratet … Ich möchte noch hinzufügen, dass ich die Schweiz niemals verteidigen würde, niemals in meinem Leben. 

Und ich würde niemandem Vorwürfe machen. Ich würde sagen: gut gemacht, wer gegangen ist. Und gut gemacht, wer geblieben ist. Jeder, der gegangen ist, möchte das Beste für seine Kinder, seine Familie. Keine Sirenen und keine Geräusche von Explosionen.

Es ist alles in schwarze Farbe getaucht. Nicht nur die Nacht ist schwarz, auch der Morgen, der Sonnenaufgang. Die Vögel, der Himmel, die Wände meiner Wohnung, alle ist schwarz. Diese Farbe verblasst dann zu einem viel zu hellen Weiss, Grellweiss, Blitzweiss, Zuckweiss, dann wird wieder alles schwarz, dann gelb.

Es gibt keine Farben mehr, nur noch die Farbe Schwarz. Wenn es eine Form gäbe, dann ist sie in Bewegung, sie fliesst, eine fliessende, schwarze Form. 

Das ist alles sehr anstrengend und schwierig, Entschuldigung. Entschuldige bitte. Hast du einen Apfel? Der Krieg ist der Mangel an Form, das ist es. Danke, dass du gewartet hast. Krieg ist wie ein formloser Weltraum.

Krieg ist ein formloses Universum mit bedrohlicher Stille, Stille wie vor dem Ende der Welt. Die Stille.

Und man riecht nichts, keine stechenden Gerüche, nichts Beunruhigendes. Der Geruchssinn ist weg.

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7 Minuten basel Bildende Kunst

Regina Simon – Olga Marchenko – 7 Minuten

Question :

If the Ukraine War had no content but only a form,

what form would the war have after 7 min ?

Question:

In your perception, which animal represents the first 7 minutes ?

Question:

Do you know a symbol for the term “war room”

and find form after experienced it for 7 minutes ?

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7 Minuten Musik zürich

Petra Ronner – 7 Minuten

(…) I want to be something small and to put myself somewhere because I was totally scared. (…)

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7 Minuten basel Bildende Kunst

Raphael Reichert – 7 Minuten

Raphael Reichert – 7 Minuten

1a

Darf ich fragen, ob sich die Ereignisse seit dem 24.02.2022 in Ihren Träumen spiegeln?

Wenn ja: Gibt es einen roten Faden?

2a

Können Sie den Gedanken über die Integration in der Schweiz zulassen, auch wenn der Krieg noch nicht vorbei ist?

3a

Glauben Sie, dass es Menschen gibt, die sich dafür schämen oder sich selbst Vorwürfe machen, wenn sie trotz des Krieges ihren lebensbejahenden Impulsen nachgehen?

4a

Können Sie bitte beschreiben, welche Oberfläche – als würden Sie ein Material oder einen Stoff berühren – die Nachrichten aus dem Kampfgebiet für Sie haben?Welche Temperatur, welches Gefühl auf der Haut?

5a

Können Sie sich vorstellen, dass man durch Bewegung und Körpersprache eine Geschichte darstellen kann, die Menschen aus verschiedenen Kulturen gleich deuten würden? Z. B. Sehnsucht, Verzweiflung oder Kummer? Glauben Sie, Sie selbst wären dazuin der Lage, eine Pose einzunehmen, die diese Zustände verkörpert?

6a

Glauben Sie, dass Sie anhand der Mimik und Gestik erkennen können, in welcher Gefühlslage sich eine andere Person befindet? Und wären Sie selbst in der Lage, nur mit Gestik und Mimik zu zeigen, wie es Ihnen geht?

7a

Würden Sie es bitte versuchen, anhand von Linien oder Muster spontan den Zustand zu zeichnen, in dem Sie waren, als Sie von dem Angriff erfahren haben? Wie hat sich Ihr Gefühl seitdem verändert?

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7 Minuten biel/bienne Literatur

Erika Do Nascimento – 7 Minuten

Als die erste Bombe fiel, oder als die erste Hand abdrückte, oder als die erste Kugel jemanden traf, oder als das erste Gebäude fiel, oder als der erste Mensch fiel, oder als die erste Explosion den Boden meiner Stadt traf, oder als die Russen einmarschierten,

oder als die Nacht, Nacht war, dunkel war,

oder als der erste Jet oder Panzer über die Luft, über den Boden unserer Stadt flog, fuhr, oder als das erste Kind verletzt wurde, oder als die Menschen, in ihrem Bett lagen, oder als sie nicht schlafen konnten, oder als sie in ihren Träumen wanderten,

lag ich auch in meinem rosa Bett, in meinem Zimmer, wo meine braunen Möbel standen, wo mein kleines Radio stand, in meinem violetten Pyjama, unter meiner weissen Decke, in der Wohnung meiner Eltern, meiner kleinen, zwei Monate alten Schwester und meinem Papagei Timoscha, der sprechen und fluchen konnte, auf Russisch und Ukrainisch.

Ich wachte von einem Bärentraum auf.

Der Bär rannte, um mich zu schnappen. Ich öffnete die Augen, zuckte zusammen, sah zuerst schwarz, weil es im Zimmer dunkel war. Ich wollte mich für die Schule anziehen. Jeans, Nikes, blaues T-Shirt. Farbige Federohrringe, Ketten. Grüner Nagellack. Gerade, als ich etwas von Celine Dion spielen wollte, klingelte mein Telefon. Es war Grossmutter, die zu viel Zeitung las und an das Böse glaubte.

Der Krieg hat begonnen, sagte sie.

Draussen knallte es.

Nach dem Anruf warf ich das Telefon, weit weg von mir, aus Angst, ich würde abgehört werden, oder es würde eine Explosion geben, oder was-weiss-ich, was diese Leute sich alles ausgedacht hatten.

Ich stellte mir sofort vor, wie uns die Decke über den Kopf fiel, hielt mich am Stuhl fest und fragte mich, ob es fest weh tun würde. Ob wir herausgezerrt werden würden. Oder ob niemand kommen würde und dies das Ende sei.

Dann ging ich zum Fenster.

Da war er, der grosse Bär. Mit den grossen Krallen. Bereit über Spitäler, über Restaurants, Tabakwarenläden, über Tankstellen, über Fussballfelder, Wohnungen, Wälder und Gärten zu stampfen. Drückte, mit seinen riesigen Tatzen, den grauen Asphalt, mit dem Müll, an den Rändern der Gehwege runter und machte ein Loch in den Boden, wo Leute reinfielen.

Sie fielen ins Loch, während sie träumten,

in der Nacht,

um nie wieder vom Traum zurückzukommen,

am Tag.

Ich stand auf, rannte ins Zimmer meiner Eltern, wo die kleine Schwester schlief. Ich rüttelte am Oberkörper meines Vaters, der fest in die Matratze gesunken lag, bis er die Augen aufmachte, so grün wie die Vorkriegszeiten.

Der Krieg hat begonnen, sagte ich.

Draussen ist der grosse rote Bär, sagte ich. Ich habe von ihm geträumt.

Auch Mutter wachte auf. Das kleine Baby schlief. Sie wird später keine Erinnerung mehr haben. Ich wünschte, ich wäre sie.

Mutter fragte, was den los sei, ich sagte, er ist draussen.

Wer?

Der Krieg.

Er ist draussen und klettert durch die Fenster, er bricht in Türen ein, schleicht sich in die Zimmer, in die Duschen, hinunter in den Abfluss, in die Badewannen, ins Wasser, in die Stuben, in den Fernseher, in die Büros der Stadt, verbrennt die Vergangenheit, in die Küchen, in das Essen, in die Münder, in die Körper, durch die Haut, in die Organe und ätzt. Niemand erwartete ihn und doch sah ihn jeder kommen.

Putin, der SCHRECKLICHE.

Alles für nichts, sagte Mutter, die Tage davor meditiert hatte. Tausendundein Mantra, hatten ich und sie aufgesagt, um den Krieg von unserer Stadt, unserem Land fernzuhalten. Fast wären wir selbst zu Buddhas aufgestiegen. So viele Rezitationen, so viele Namen von Göttern auswendig gelernt, dass ich fast meinen eigenen vergessen hätte.

Sag sowas nicht, sagte ich zu Mutter.

Ich stellte eine Matte auf den Boden, nahm sie bei der Hand und wir fingen wieder an.

Vater war bodenständiger, er war unruhig, fast könnte man sagen, panisch, ging von Küche zu Stube, Stube zu Zimmer, zum Bad.

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7 Minuten biel/bienne Literatur

Garsam Marsia – 7 Minuten

Mein Name ist Olha. Ich habe mehr als 18 Jahre in Kiew gelebt.

Nein, ich habe nie geboxt, aber als Kind habe ich Kampfsport gemacht. Aber ich weiss nicht mehr, wen ich verdroschen habe.

Ja, ich singe, während ich unter der Dusche stehe.

Soll ich singen? Ja, bitte singen.

Singt. „Entschuldige, falls ich dir wieder Schmerzen bringe …“

„Nein, du kannst wirklich singen, wir haben Zeit, ich nehme das auf.“

„Entschuldige, falls meine Träume so traurig sind … Es tut mir so leid, das war der Text.“

„Aha, das wusste ich nicht.“

„Ja … Es tut mir leid, wenn ich dir wieder wehtue. Ich mache dich traurig! Und es tut mir leid, dass ich dich schon wieder traurig mache.“

„War das auch noch der Text?“

„Ja.“

Es war so offensichtlich, dass der Krieg jederzeit beginnen könnte. Schon seit 2014 herrschte eigentlich Krieg in schleppender Form. Alle haben darüber geredet und nachgedacht, aber aus irgendeinem Grund wollte niemand daran glauben, dass der Krieg wieder richtig losgehen könnte. Er war ja gar nicht zu Ende. War er zu Ende?

Es gibt keine Formen oder Farben, die Kriege richtig darstellen können. Es ist eine Art Schlamm, eine Art Gelee, etwas Formloses, Dunkles, Unbekanntes, und es hat überhaupt keine Struktur. Krieg ist etwas Strukturloses. Ja, aber gleichzeitig ist er ja eine unglaubliche Organisationsbemühung. Wenn man sich überlegt, wie viel Energie in die ganze Logistik gesteckt wird, und wenn man das zum Beispiel mit der Energie vergleicht, die vorher nicht in die Bildung, nicht in die Gleichberechtigung, nicht in die Bekämpfung der Korruption gesteckt wurde, ist das schon verrückt.

Spätestens, als alle Flüge gestrichen wurden und sämtliche westlichen Botschaften schon vor den Weihnachtsferien schlossen, wurde es offensichtlich, dass sich etwas Schlimmes zusammenbraute.

Eine Woche vor dem Krieg erhielt mein Mann einen Anruf von seinem Chef, der ihm einen Umzug nach Lemberg und dann nach Budapest nahelegte. Warum wusste der Chef so gut Bescheid? Welcher Geheimdienst hat ihn informiert?

Wir weigerten uns! Wir werden nirgendwohin gehen. Wir gingen dann doch. Es gab von einem Tag auf den anderen keine Flüge mehr.

Ich fing an, zu weinen. Ich habe den ganzen Tag geweint.

Meine Mutter weinte nicht. Sie sagte nur: „Natürlich, Olechka, geh. Mach dir keine Sorgen um uns, alles wird gut.“

Ich glaube nicht, dass meine Mutter das ernst meinte.

Ich weinte noch mehr. Einen halben Tag lang, weil es mir vorkam, als würde ich alle verraten. Aber meine Mutter sagte nur immer wieder: „Mach dir keine Sorgen um uns, alles wird gut.“

Ich wollte nicht weg. Der Chef meines Mannes rief wieder an: „In Budapest wartet eine Wohnung auf dich!“

Warum wusste der Chef so gut Bescheid? Welcher Geheimdienst hat ihn informiert? Woher hatte die Firma das Geld?

Wir fuhren mit dem Auto nach Budapest, damit wir mit dem Auto auch wieder zurückkehren könnten. Das Auto wurde dann gestohlen, wir wissen nicht, wo es jetzt ist. Wir sind nie wieder zurückgekehrt. Das Auto wurde gestohlen. Das Auto ist weg.

Ich konnte nichts tun. Das Einzige, das mich dazu brachte, etwas zu tun, war mein Kind. Ich verbrachte die ersten drei Tage komplett im Internet. Cherson wurde besetzt, da leben meine Eltern, meine Schwester, meine Grossmutter, der Grossvater, der Onkel, die Cousins, die Schwester. Meine ganze Familie.

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7 Minuten Musik zürich

Yaroslav Kutsan – 7 Minuten

Yaroslav Kutsan – 7 Minuten

EN

I chose this piece because it corresponds to the awakening of the war demon and the first air raids. At the same time, a feeling of a state
of numbness and the inability to speak.

UKR

7 хвилин – я вибрав цю частину, бо вона відповідає пробудженню демона війни та першим повітряним тривогам. При цьому відчуття стану оніміння та неможливості говорити.

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7 Minuten Musik zürich

Jörg Köppl – 7 Minuten

Jörg Köppl – 7 Minuten

DE

H. erzählt, dass sie für den Krieg bereit war. Der Koffer war gepackt, der Tank des Autos gefüllt. Sie beschreibt, wie sie während der Flucht fast nicht mehr atmen konnte, so dass sie sich übergeben musste.

EN

H. tells that she was prepared for the war. The suitcase was packed, the tank of the car filled. She describes how she almost couldn’t breathe during the escape, so that she had to throw up.

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7 Minuten basel Bildende Kunst

Illya Kirzhner – 7 Minuten

DE

Der Minengang

Ein junges Mädchen in einem körperbetonten rosa Kleid gräbt mit einem Teelöffel den Boden um. Warum? Gräbt sie ein Grab? Will sie jemanden begraben? Jemanden, der im Krieg gefallen ist? Oder ist er zufällig gestorben? Ein Zufallsopfer? Wir leben in Kriegszeiten. Und in Kriegszeiten kann alles passieren. Vielleicht versucht sie auf diese Weise, die Vergangenheit zu begraben? Ihre Erinnerungen? Oder gräbt sie nach Schätzen um? Sucht sie einen Schatz?

Mit einem Teelöffel kann man keinen Schatz ausgraben. Und man kann auch nicht die ganze Vergangenheit begraben, in so einem kleinen Grab, auch nicht wenn man noch jung ist. Man kann mit einem Teelöffel nicht einmal einen richtigen Grab graben, ausser vielleicht für ein Insekt. Oder für einen kleinen Vogel. Kolibri. Oder für ein Papagei, der verstorben ist. Es war einmal, nicht jetzt. Bevor der Krieg ausbrach.

In einem mit einem Teelöffel ausgehobenen Grab ist es durchaus möglich, einige Erinnerungen zu begraben. Schreckliche, unangenehme, aber auch angenehme Erinnerungen. Über die Kindheit in der Ukraine. Über die Pubertät. Sie kann vielleicht die Erinnerungen an ihre erste Liebe begraben. Oder an das Verliebtsein. Oder an die Abhängigkeit. In der Pubertät kann man es noch nicht wirklich herausfinden. Aber auch im Erwachsenenalter ist es leider nicht einfach. Ein kleines Grab, durchaus geeignet für Erinnerungen an die erste Abhängigkeit der Zeiten der Pubertät. So etwas lässt sich durchaus mit einem Teelöffel in nur 7 Minuten ausgraben.

Aber nein, dieses Mädchen gräbt Blumen aus. Mit einem Teelöffel gräbt sie Blumen in einem idyllischen Schweizer Park aus. Erst die Kamille. Und dann ist da noch die Narzisse.

Kamille, ein Symbol der Liebe, oder des Verliebens. Nicht in sich selbst, nein, in den Anderen. Sogar Zemfira, eine Sängerin aus Russland, singt so

Привет, ромашки,
Кидайте деньги, читайте книжки
Дурной мальчишка ушел, такая фишка
Нелепый мальчишка.

Hallo, Gänseblümchen.
Werfen Sie Geld, lesen Sie Bücher
Der böse Junge ist weg, was für ein Trick
Lächerlicher Junge.

Narzisse ist ein Symbol der Selbstliebe, normalerweise nicht das gesündeste. Im antiken griechischen Mythos bewunderte Narzisst sein Spiegelbild und versteinerte. Wahrscheinlich aus dem Wunsch heraus, die eigene Schönheit zu verewigen. Oder aus Egoismus? Oder aus Egozentrik sogar? – Schwer zu sagen. Warum braucht ein Mädchen mitten im Krieg Gänseblümchen? Und warum braucht sie die Narzisse? Vor allem die Narzisse aus einem idyllischen Park?

Meine (oder unsere) Gedanken werden von einer Stimme unterbrochen. Einer männlichen Stimme. Sie spricht Schweizer Dialekt. Freundlich, höflich, gewaltfrei. Das ist die sogenannte gewaltfreie Kommunikation. Aber gleichzeitig spricht die Stimme klar und streng. Das können die Schweizer, die in offiziellen Institutionen arbeiten. In allen möglichen sozialen Institutionen. Oder fleissige, aufrichtig besorgte Schweizer und Schweizerinnen, die sich um die Umwelt kümmern:

„Ich muss Sie glich unterbreche. Das, was Sie da machet: vo wem hätten Sie die Bewilligung?“

„Wir machen es wieder gut.“

„Das spielt kaine Rolle! Sie treten in den Beetraum ein!“

Ich reagiere nicht. Ich halte die Kamera. Ich bin als Kameramann beschäftigt und ich erwecke diesen Eindruck. Auch das Mädchen reagiert nicht. Mit einem Teelöffel gräbt sie weiter. Sie lässt die Narzisse nicht aus den Augen. Künstlerischer Prozess. Materialsammlung über Russlands Krieg gegen die Ukraine. Künstler und Muse. Oder KünstlerIn und Muser?

„Aber Hallo! Haben Sie die Bewilligung vom Kanton?! Oder von der Stadt Basel?!“

Wir reagieren nicht. Wir zeigen immer noch, dass wir einen künstlerischen Prozess durchführen. Ist das nicht klar? Man kann ja sehen, dass wir nicht ganz von hier sind. Dass wir Ausländer sind. Das Mädchen trägt ein wunderschönes rosa Kleid. Es steht ihr sehr gut. Ich trage einen Damen-Flanellanzug in einem bizarren und veralteten Stil. Hier gehen die Leute nicht einfach so durch die Strassen. Wir sind nicht nur Ausländer, wir sind komische Ausländer. Wir sind etwas Spezielles. Welche Bewilligung? Wofür? Warum vom Kanton? Oder von der Stadt? Eine kleine Narzisse zu untergraben ist kein Verbrechen. Es ist nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit. Es ist keine Sabotage der bürgerlichen Moral. Und wie steht es schliesslich mit der künstlerischen Freiheit?

„Ich appelliere an euch: Legen Sie mir die Erlaubnis des Kantons vor! Sonst rufe ich die Polizei an! Hören Sie auf zu graben!“

Eine männliche Silhouette bricht in die Kamera durch. Erst jetzt sehe ich, wie der Typ aussieht, der mich schon seit gut fünf Minuten anspricht. Die männliche Silhouette verdeckt das Mädchen. Und die Narzisse. Ich erinnere mich, dass das Mädchen minderjährig ist. Ich beschliesse, keinen ärger zu verursachen. Ich drücke auf Stopp.

Man weiss ja nie, was sie mir sonst vorwerfen. Diese freundliche grüne Umweltschützer, mit ihrer gewaltfreien Kommunikation.


RU

Пробуждение. 7 минут войны

Первые 7 минут войны – как сон, или как танец. 

девушка просыпается от взрывов бомб и начинает танцевать. 

танцевать – ото сна в сон. 

пробуждение в Украине, в обычной квартире, от взрывов бомб.

пробуждение в Швейцарии, в чужой стране, на скамейке в парке, от щебета птиц. 

телефонный звонок. бабушка говорит, что началась война. 

птицы щебечут. они щебечут о цветах. цветы ждут, когда их соблазнят. 

девушка в Украине, будит родителей, чтобы сказать им, что началась война. 

девушка в Швейцарии, танцует, сонная и томная. следуя зову птиц. 

она празднует новый день. 

Такая форма, потому что война, она как вещь, которая проникает везде и которую никто не хочет, никто не ждет. она просто приходит в чью-то жизнь, лезет как нос, страшно длинный

страшно длинный нос лезет в идиллический зелёный парк, со старым фонтаном, с дивными цветами и растениями, с изящными скульптурами и гран-кафе, в котором нельзя оказаться просто так, в который попадают избранные или случайные. 

что я живу в такой стране, в которой такая нестабильность, что началась война? наверное, у меня не было этого чувства, потому что мои родители сразу сказали, что мы уезжаем из этой страны, потому что здесь небезопасно

мы уезжаем в страну, в которой безопасно, даже очень, даже слишком безопасно, можно так сказать, мы уезжаем в самую комфортную, самую мирную и богатую страну в мире. эта страна в десятки, в сотни раз безопаснее, комфортнее, богаче Украины. и природа, и садово-парковое искусство здесь тоже утонченное, наверное, непревзойденное, – даже самые утонченные садовники Версаля его не превзошли. 

ну, да, мои родители постоянно мне говорят, что в Украине нет возможности развиваться, развиваться и работать в том направлении, которое мне интересно, – искусство, и что я умру с голоду из за того, что я этим интересуюсь. 

в Швейцарии никто никогда не умирает с голоду, или почти никто почти никогда, не важно, чем он или она или оно интересуется. даже если оно интересуется трупами, или падалью, или дождевыми червями, или ядами, например, оно все равно никогда не умрет с голоду, даже если оно окажется в лесу, или в тюрьме. 

в Швейцарии есть бесконечные возможности развиваться и работать в том направлении, которое интересно, здесь трудно развиваться и работать в интересном направлении может быть лишь потому, что возможностей для развития и работы бесконечное множество и все множества всегда открытые, поэтому очень трудно выбирать: пока выберешь, пока определишься, юность, молодость, а то и вся жизнь могут незаметно пройти. такая она, Швейцария, где каждое „я“ или „оно” может хоть всю жизнь заниматься одним лишь искусством, где каждый может стать художником. Нет, где каждый уже есть художник, как говорил… Бойс? никто здесь не умрет с голоду, из-за того, что он или она или оно интересуется искусством, но никого (или почти никого) и не признают здесь большим художником или художницей, или художнико, потому что каждый уже художнико, или художница, или художник. Страна свободного мнения, где каждый имеет право высказаться, но только некоторые имеют возможность быть услышанными.

Война противоречива. война парадоксальна по своей природе. кого-то война убивает. Кому-то дарит новую жизнь, во много раз прекраснее предыдущей. кому война, а кому мать родная, говорят русские. кто-то потерял все – родину, дом, друзей, родных и близких. кто-то приобрел все – свободу, мир, комфорт, безопасность. время, богатство. Богатство, заключающееся в свободе выбора.

Я оделась в школу. Я уже была готова выходить

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7 Minuten Musik zürich

Sebastian Hofmann – 7 Minuten

Sebastian Hofmann – 7 Minuten

Ein Gedicht von Victoria Amelina, die durch einen russischen Raketen­angriff getötet wurde:

Alarm

Luftalarm im ganzen Land
als führte man alle gleichzeitig
zur Erschiessung
und zielte doch nur auf einen,
meistens auf den am Rande.

Heute bist das nicht du. Entwarnung.

5. April 2022

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7 Minuten basel Bildende Kunst

Karyna Herrera – 7 Minuten

EN

Katia, Kateryna Vysoka and I worked together for three days, talking and reflecting on war and flight. Together we developed a creative approach that allowed us to get to the bottom of the situation and tell people the stories and fates of the artists with an artistic language.
The results of an intensive and very touching collaboration with the two artists, who had to leave their home because of the war, are documented here.

DE

Katia, Kateryna Vysoka und ich haben drei Tage zusammengearbeitet, über den Krieg und die Flucht gesprochen und nachgedacht. Gemeinsam entwickelten wir einen kreativen Ansatz, der es uns ermöglichte, der Situation auf den Grund zu gehen und den Menschen mit einer künstlerischen Sprache die Geschichten und Schicksale der Künstler*innen zu erzählen. Dokumentiert werden hier die Ergebnisse einer intensiven und sehr berührenden Zusammenarbeit mit den beiden Künstler*innen, die aufgrund des Krieges ihre Heimat verlassen mussten.

UKR

Катя, Катерина Висока і я працювали разом три дні, розмовляли і розмірковували про війну і втечу. Разом ми виробили креативний підхід, який дозволив нам докопатися до суті ситуації та розповісти людям історії та долі митців художньою мовою.
Тут задокументовано результати інтенсивної та дуже зворушливої ​​співпраці з двома митцями, які змушені були залишити батьківщину через війну.

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Katia speaks about her experience as the war started in Ukraine

Katia berichtet über ihre Erfahrungen als der Krieg in der Ukraine begann.

Катя розповідає про свій досвід, коли в Україні почалася війна.

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  • Kateryna Vysoka

Kateryna Vysoka speaks about her experience as the war started in Ukraine.

Kateryna Vysoka berichtet über ihre Erfahrungen als der Krieg in der Ukraine begann.

Катерина Високa розповідає про свій досвід, коли в Україні почалася війна.

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7 Minuten Musik zürich

Paula Häni – 7 Minuten

Die ersten Bomben fallen, die Fenster werden mit Klebeband abgeklebt um Verletzungen durch Glassplitter zu vermeiden. Stress, Unsicherheit, Angst – die Menschen versuchen im Chaos zu fliehen.

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7 Minuten biel/bienne Literatur

Sagal Maj Comafai – 7 Minuten

Fragebogen

Leute fragen mich: Bist du aufgewacht von den Sirenen, als der Krieg anfing? Bist du aufgewacht vom Nachbar, der fluchte? Bist du aufgewacht von deiner Freundin, die anrief? Bist du aufgewacht von Päng, Päng, Boom, Boom? Bist du aufgewacht von Newsapp Sondermeldung? Bist du aufgewacht von Beton und Glas, die dir um die Ohren flogen? Oder musstest du deine Eltern wecken und ihnen sagen: P**** dieses Schwein, was für ein verdammter Idiot – wacht auf, schnell, der Krieg hat vor 7 Minuten begonnen. 

Jetzt

Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt, endlich nach Paris zu gehen. In die Ferne und Kunst machen. Mutter sagt: Geh, hier hast du keine Zukunft. Jetzt packe ich den Notfallkoffer, wir haben Verwandte in Polen. Was wird von meinem Land übrig bleiben? Eine Farbe? Ein dunkles Schwarz mit schwerem Blau gemischt?

Betondecke

Grossmutter weckt mich, ich wecke meine Eltern: Wacht auf, der Krieg ist da. Wie lange brauchen die Bomber bis sie über unserem Dorf sind? Wie sehr schmerzt es, wenn mir die Betondecke auf den Kopf fällt? Liege ich dann noch da, unter den Trümmern? Wie lange?

Wifi

Das Wichtigste bei Kriegsbeginn ist die Internetverbindung. Aber ich will nicht auf den Handybildschirm schauen. Ich will nicht wissen, welche Städte bombardiert wurden und welche als nächstes dran sind. Ich will nicht wissen, ob Strassen und Tankstellen zerbombt wurden und ob man vielleicht gar nicht mehr wegkommt. Ich will nicht wissen, ob es jemanden von meinen Freunden oder Verwandten getroffen hat. Oder wie lange der Krieg jetzt schon dauert.

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7 Minuten basel Bildende Kunst

Bagrat Arazyan – 7 Minuten

Bagrat Arazyan-Natalia Zhigaylo – 7 Minuten