von Illya Kirzhner
1. Zur Frage der persönlichen Motivation und der Selbstermächtigung
…У сильного всегда бессильный виноват… –
frei übersetzt „Der Starke gibt immer dem Machtlosen die Schuld“, schrieb einst Iwan Andrejewitsch Krylow, der als der bedeutendste Fabeldichter der russischen Literatur gilt. Die meisten Kriege, die bisher geführt wurden, bestätigen diese tragische und offensichtlich wahre Aussage auf die eine oder andere Art. Der Ukraine-Krieg, der offiziell am 24. Februar 2022 ausbrach, inoffiziell – oder weniger offiziell – jedoch bereits seit mindestens 100 Jahre geführt wird, bildet dazu keine Ausnahme. Es geht dabei um eine altbekannte kollektive Schuldzuweisungsgeschichte, nach der die Starken die Schwachen als Schuldträger darstellen.
Das WAR!-Projekt ist dem Ukraine-Krieg gewidmet. Es wird von der Eidgenössischen Migrationskommission (EKM) „Neues Wir!“ unterstützt und von mir kuratiert. Sein Hauptziel ist es, individuellen und authentischen Stimmen ukrainischer Geflüchteter Raum zu geben, um ihnen durch Schweizer Kunstschaffende durch künstlerische Mittel einen ästhetischen, künstlerischen Ausdruck zu verleihen.
Ich selber migrierte 1998 als jüdischer Kontingentflüchtling aus der Ukraine nach Deutschland. In Dortmund absolvierte ich später eine Ausbildung in der Fachrichtung Graphik-Design sowie in Berlin (HU) ein Magister-Studium der Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte und Philosophie. 2010 ging ich in die Schweiz, wo ich zuerst an der UZH und später am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel/Bienne literarisches Schreiben und Kunstvermittlung studierte. Ich veröffentlichte einige literarische Texte und bin Mitglied des Schweizerischen Autorenverbands (AdS). 2022 gründete ich in Basel den Verein Traumwelt 360°. Das Ziel des Vereins ist es, diverse, nachhaltige und utopische Kunstwerke zu kreieren, um damit die sogenannte „reale Welt“ in eine Traumwelt zu verwandeln. Ich bin also ukrainischer Flüchtling, Jüdisch und Schweizer Künstler gleichzeitig – und ganz nebenbei auch noch einiges anderes – aber das würde den Rahmen dieses Vorworts sprengen.
Diverse Kulturinstitutionen haben mich in unseren Gesprächen zur Projektfinanzierung nach meiner Eignung gefragt. Der Tradition jüdischer Intellektueller aus der Ukraine folgend, antwortete ich auf diese Frage mit einer Gegenfrage: Wer denn sonst, wenn nicht ich?
Hiermit tue ich mein Bestes, um meiner Stimme einen möglichst aufrichtigen und authentischen Ausdruck zu verleihen. Ich verfasste dieses Vorwort vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges (und nun auch noch des Krieges in Israel!), das zugleich persönlicher Bericht und künstlerischer Beitrag ist. Oder es zumindest sein soll.
2. Hat der Ukraine-Krieg einen Anfang und kann er ein Ende haben?
Unsere Politiker reden gerne vom Sieg bzw. von der Kapitulation im Krieg, vom endgültigen Kriegsende, wie auch vom grossen Nutzen des Friedens. In der Tat weiss und begreift eigentlich niemand, wann genau die Feindschaft zwischen Russland und der Ukraine begann, wann sie zu einer direkten Konfrontation zwischen den beiden staatlichen Subjekten führte und wann oder ob sie jemals enden wird. Global – oder historisch – gesehen, befanden sich der russische Staat und die Ukraine seit ihrer Gründung im Kriegszustand miteinander, allein wegen der fortschreitenden Expansion des Russischen Reiches. Es gab aber auch Zeiten – mal längere, mal kürzere – in denen militärische Handlungen eingestellt waren. Zeitweise sprach man sogar von brüderlichen Völkern. Dieses Narrativ wäre niemals entstanden, wenn es nicht für lange Zeit zwei verfeindete Völker gegeben hätte. Die Geschichte, die komplexen Beziehungen zwischen den Menschen und Völkern, ja, im Prinzip das ganze Leben ist von Paradoxen durchdrungen. Wenn eine Mutter einem Kind das Leben schenkt, schenkt sie ihm gleichzeitig den Tod.
Aus der Sicht der aktuellen russischen Politik gehört die Ukraine zu den historischen Gebieten Russlands. Dieses Narrativ wird aktiv von Wladimir Putin vertreten und durch die russische Propaganda möglichst laut verbreitet. Man geht also per Definition von der Zugehörigkeit eines fremden Territoriums zum eigenen Staat oder Reich aus, was sich in der Vergangenheit nicht ohne Kriegshandlungen durchsetzen ließ, zumindest zeitweise.
Wie ich es aus dem Geschichtsbuch aus meiner Schulzeit kenne, war die Ukraine schon immer gespalten zwischen dem Osten (Russland) und dem Westen (Europa), und es ging schon immer kriegerisch hin und her. Und zwar nicht nur entlang der Ostgrenze. Nein: Polen, Österreich-Ungarn, Litauen – auch die westlichen Nachbarn beanspruchten für sich Territorien der heutigen Ukraine. Auf dem Höhepunkte ihrer Macht gehörte der UdSSR – einer Union einzelner Republiken, deren Nachfolgerin die Russische Föderation ist, 1/6 der Erdoberfläche! Ganz ehrlich: Kann man so ein Imperium freiwillig, ich meine, auf der Grundlage von Frieden und Freundschaft aufbauen? Vor allem, kann das ein Land wie Russland, das seit jeher durch Zarismus, Totalitarismus, Unterdrückung aller möglichen Minderheiten und allgemein durch eine Politik der „harten Hand“ bekannt ist?
Wie ich die Geschichte dieser beiden Ländern sehe, hatte dieser Krieg keinen bestimmten Anfang und er wird deshalb auch kein bestimmtes Ende haben. Jeder Sieg, wenn es in einem Krieg denn überhaupt einen Sieg geben kann (für mich eine absurde Vorstellung!) und jeder Frieden wird deshalb nur vorübergehend sein. Aus diesem Grund haben Michael Stauffer, Jörg Köppl und ich im WAR!-Projekt den Ukraine-Krieg in einzelne Zeitabschnitte – 7 Minuten, 14 Tage, 28 Wochen, 56 Wochen und 56 Monate (ca. 5 Jahre) – aufgeteilt, um ihn aus einer längerfristigen Perspektive zu verstehen. Gleichzeitig war es uns ein grosses Anliegen, den individuellen Stimmen möglichst viel Raum zu geben; gerade deshalb, weil die Perspektive der Medien und der östlichen wie der westlichen Politik uns allen viel zu gut bekannt ist. Eine der individuellen Stimmen ist meine eigene.
3. 100+ Jahre Kriegsgeschichte am Beispiel einer jüdischen Familie
Für mich begann dieser Krieg nicht am 24. Februar 2022, sondern vor ca. 100 Jahren. Warum? Erstens, weil ich ungefähr so lange die Geschichte meiner Ursprungsfamilie zurückverfolgen kann. Zweitens, weil fast genau vor 100 Jahren die Sowjetunion gegründet wurde. Dies geschah am 30. Dezember 1922 durch die Bolschewiki. Ich weiss es, weil kurz vorher ein Teil meiner Ursprungsfamilie ausgerottet wurde, und der andere Teil alles verlor.
Ich komme aus der Stadt Winniza in der Ukraine, wo auch meine Mutter, ihr Vater und sein Vater, mein Urgrossvater, sowie auch mein Ur-Urgrossvater herkommen. Der Grossvater meines Grossvaters mütterlicherseits war ein jüdischer Kaufmann und besass in meiner Heimatstadt eine Granitfabrik. Er sprach Englisch und Französisch und exportierte Granit nach Europa. Vor seinem Haus befand sich ein grüner Streifen, ein Feld. Hinter dem Feld, das immer noch da ist, befindet sich immer noch ein Fluss, der Südliche Bug. Es gibt noch einige Felsen jenseits des Flusses. Granitfelsen. In einem der Felsen klafft ein riesiges schwarzes Loch. Genau dort gab es früher einen Steinbruch. Einen grossen Steinbruch, der dem Grossvater meines Grossvaters gehörte.
Als ich klein war, erinnerte mein Grossvater sich öfters an die Ereignisse, die heute etwas mehr als hundert Jahren zurück liegen. Er erinnerte sich, dass es im Jahr 1886 in der Stadt Winniza 6 Steinbrüche gab, in denen jährlich 500 bis 1000 Kubikmeter Granit abgebaut wurden. Winnizas Granitindustrie stand damals an erster Stelle unter den Städten der heute ukrainischen Provinz Podolsk. Mehr als ein Drittel der Einwohner von Winniza war jüdisch. Es gab dort damals noch mehr Juden als Ukrainer! Und natürlich mehr als Russen, Deutsche und Polen zusammen! Mein Ur-Urgrossvater war einer der grössten jüdischen Industriellen der Stadt, er besass den grössten Steinbruch der Stadt.
Mein Urgrossvater war weithin bekannt. Er hatte Geschäftskontakte in Russland, die ihm – trotz seiner Zugehörigkeit zum jüdischen Volk – offen standen. Das war damals eher eine Ausnahme. Und er hatte auch Beziehungen zu Europa. Darum verkaufte mein Ur-Urgrossvater Granit nicht nur in der Ukraine, sondern auch im Russischen Reich, in Italien, Frankreich und Deutschland.
Im Oktober 1917 fand in Winniza ein Aufstand statt. Er wurde von Zubrilin und Boschan geführt. Sie versuchten, die staatliche Kontrolle auf das Revolutionskomitee der Arbeiter- und Soldatenabgeordneten zu übertragen. Aber die Truppen der Provisorischen Regierung unterdrückten den Aufstand. In der Nacht vom 1. auf den 2. November 1917 wurde das Militärrevolutionäre Komitee gebildet. Am 2. November wurde in der Nachbarstadt Winniza, Schmerinka, die Sowjetmacht gegründet. Und am 4. November auch in Winniza selbst. Im Dezember desselben Jahres wurde die Behörde der Zentralrada gegründet.
Dann begann der Bürgerkrieg. Die Macht in der Stadt ging viele Male von Hand zu Hand, wie es auch heute in den Städten rund um Donezk und Luhansk wieder der Fall ist. Die Regierung der Ukrainischen Volksrepublik arbeitete einige Zeit in Winniza. Der Bürgerkrieg verwüstete den Besitz meines Ur-Urgrossvaters. Er hat seinem Steinbruch enormen Schaden zugefügt. Seine Arbeiter flohen, um zu kämpfen. Der Bürgerkrieg spaltete Geister, Körper und Seelen der Menschen damals genauso wie heute. Die Arbeiter der gleichen Werkstatt befanden sich auf verschiedenen Seiten der Barrikaden. Parallel zur Westfront rückten die Deutschen vor. Mein Ur-Urgrossvater versuchte, seine Fabrik, Maschinen und Eigentum zu verkaufen. Er hatte vor, in die Schweiz zu fliehen. Mein Ur-Urgrossvater hatte grosse Angst vor dem Tod, den er seitens der Deutschen erwartete. Aber seine Frau riet ihm sowohl vom Verkauf als auch von der Flucht ab. Sie glaubte, dass sie keine Angst vor den Deutschen haben sollten. Die Frau dachte, dass sie viel mehr Angst vor den Bolschewiki. haben sollten. Die Kommunisten hielt sie für ein grösseres Übel als die Deutschen. Die Frau meines Ur-Urgrossvater hatte Recht. Im Frühjahr 1918 wurde Winniza von deutschen Truppen besetzt. Sie waren bei der Wiederherstellung der Industrie zwar nicht sehr hilfreich, aber sie respektierten die Lebensweise der Menschen in der Stadt überwiegend so, wie sie war. Doch bereits im Juni 1920 wurde die Sowjetmacht wieder hergestellt. Leider. Das Jahr 1920 war ein tödliches Jahr für meine ganze Familie. Mein Ur-Urgrossvater verlor bald den Rest seines Vermögens. Die Bolschewiki beschlagnahmten den gesamten Steinbruch und sein Eigentum. Mein Ur-Urgrossvater und seine Frau wurden verhaftet und später in ein Zwangsarbeitslager transportiert. In den folgenden Jahren starben sie dort unter den unerträglichen Bedingungen oder am Hunger. Sie wurden höchstwahrscheinlich gefoltert, weil sie jüdische Fabrikanten waren.
Ihre Spur ging verloren, ebenso wie die Spuren vieler anderer Verwandter. Einige konnten aber fliehen. Nach Deutschland, in die Schweiz oder nach Argentinien. Mein Urgrossvater, der Erbe des Vermögens, konnte irgendwie überleben. Er war ein Schauspieler, sowohl von seiner Bildung her als auch von seiner Berufung. Während des Ersten Weltkriegs wanderte er in den Ruinen des ehemaligen Steinbruchs und lebte dort im Elend. In den späten 1920er kehrte er nach Winniza zurück. Mit Hilfe einiger Verbindungen seines Vaters konnte er seine Papiere fälschen. Er heiratete eine jüdische Frau. Im März 1931 bekamen sie einen Sohn, meinen Grossvater, der heute 92 Jahre alt ist.
„Im Leben hängt fast alles davon ab, wo du geboren bist“,
sagte mein Grossvater oft. Er spürte es jeden Tag an seiner eigenen Haut, dass er in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zur Welt gekommen ist. Er schaute jeden Tag über den Südlichen Bug in die Ferne. Ins schwarze Loch im Felsen, das damals seinem Grossvater gehörte. Jetzt gibt es dort wirklich nur noch ein schwarzes Loch.
Die „Verstaatlichung“ der Fabriken unter den Sowjets erfolgte damals nach dem Prinzip weder deine noch meine noch unsere. Die Bolschewiki plünderten einfach den Steinbruch, genauso wie die russischen Militärs heute die industrielle Betriebe und die zivile Infrastruktur der Ukraine plündern. Selber haben sie den Steinbruch nie in Betrieb genommen. Wenn ich mir dies heute in der Schweiz, als ukrainisch-jüdischer Flüchtling vorstelle, schwebt mir die Geschichte meines Geburtsortes Winniza, das im Jahr 2022 – genau 100 Jahre später! – wieder bombardiert wurde, in verschwommenen Bildern vor meinem inneren Auge. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte der Bürgerkrieg, dann der Zweite Weltkrieg. Der Krieg, der in der UdSSR als Großer Vaterländischer Krieg bezeichnet wird. Es gab im 20. Jh so viele Kriege!
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gingen Tausende Bewohner von Winniza an die Front. Um den Feind zu bekämpfen und die nur teilweise wieder belebte Industrie zu schützen, wurde ein Strafbataillon gegründet. Die Bewohner von Winniza bauten Befestigungen und dienten in der Luftverteidigung. Am 19. Juli 1941 besetzten die Nazis die Stadt Winniza. Während der Besatzungszeit waren in Stadtnähe Partisanenabteilungen. tätig. Ihre Aktivitäten wurden durch die Tatsache erschwert, dass die Faschisten ein Besonderes Regime in der Stadt errichteten. Ein Besonderes Regime wurde eingeführt, weil sich in der Nähe von Winniza das Hauptquartier von Adolf Hitler namens Wehrwolf befand!
Ja, gerade in Winniza wurde die berühmte Richtlinie Nr. 45 unterzeichnet, über die Eroberung der Schwarzmeerküste des Kaukasus, Stalingrads und die Entscheidung Hitlers, Baku anzugreifen. Das Denkmal für die toten Zwangsarbeiter des Hauptquartiers, das in der Nähe der Strasse Winniza-Zhytomyr errichtet wurde, nennt 14.000 bis 40.000 Opfer. Die Nazis beuteten vor allem ukrainische Kriegsgefangene für den Ausbau des Areals aus und ermordeten sie. Der Ort für das Hauptquartier war von Adolf Hitler selbst gewählt worden.
Mein Grossvater kennt diesen Ort sehr gut. Auf seinen Wanderungen kam er dem Eingang zum Wehrwolf öfters nahe. Auf einer grossen Lichtung mitten im Wald sind immer noch einige Betonblöcke verstreut. Das ist alles, was vom Wehrwolf übrig blieb, einer riesigen unterirdischen Festung. Früher gab es hier im Untergrund alles, was für den Komfort des Führers und seines Gefolges nötig war: Es gab zwei Funktelegraphenstationen, sogar ein eigenes Umspannwerk. Kinohalle, Casino, Wasserpumpe und Schwimmbad. Flugzeughangars, Hauswirtschaftsräume, Hochgeschwindigkeitsaufzüge. Vom Haus des Führers führte der Weg zu einem speziellen Stahlbetonbunker. Die Decken dort waren bis zu drei Meter dick! Der Bunker hatte seinen eigenen Namen, Wolfschanz. Die Nazis organisierten zwei Kriegsgefangenenlager in Winniza. Mehr als 12.000 Menschen starben in ihnen! Während der Razzien erschossen sie weitere 25.000 Einwohner von Winniza, von denen die meisten jüdisch waren. Weitere 13.400 junge Männer und Frauen wurden von den Nazis zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt. Die deutsche Faschisten töteten mehr als 700 Patienten des neuro-psychiatrischen Krankenhaus Winniza, das immer noch europaweit bekannt ist. Das Krankenhausgelände verwandelten sie in einen Offiziersclub. Insgesamt töteten die Nazis nach verschiedenen Schätzungen 42.000 bis mehr als 100.000 Zivilisten in der Winniza-Region. Etwas 23 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gingen die Deutschen mit den Bewohnern von Winniza ganz anders um als früher. Unter den von den Nazis getöteten Juden waren auch die Eltern meines Grossvaters. Sein Vater erinnerte sich sehr gut an die Jahre während des Ersten Weltkriegs. Er erinnerte sich daran, wie seine Mutter weise sagte, dass das Schlimmste nicht von den Deutschen, sondern von Bolschewiki erwartet werden sollte. Er erinnerte sich daran, wie diese Prophezeiung wahr wurde. Sein Vater wurde von Bolschewiki gefoltert. Darum dachte er, dass es beim zweiten Mal genau gleich sein würde. Er und seine Frau nutzten die Gelegenheit nicht, um von Winniza nach Samarkand zu fliehen, die der Sowjetstaat ihnen anbot. Sie blieben in Winniza, in der Hoffnung, dass die Deutschen sie auch diesmal verschonen würden. Aber sie schickten ihren Sohn nach Samarkand. Mit dem letzten Zug.
Mein Grossvater war damals zehn Jahre alt. Sein Vater wurde an die Front geschickt. Er, der jüdische Sohn eines Ex-Kaufmanns und Granitherstellers, der in Stalins Lagern zu Tode gefoltert wurde, kämpfte für die Bolschewiki! Und er starb durch die Nazis! Die Nazis haben ihn nicht verschont, wie sie es bei seinem Vater getan haben. Seine Frau wurde in Winniza erschossen. So starb mein Urgrossvater im Zweiten Weltkrieg als Verteidiger des sowjetischen Vaterlandes. Ihm wurde sogar posthum eine Medaille oder ein Orden verliehen!
In Samarkand überlebte mein Grossvater während des Krieges dank seines angeborenen Einfallsreichtums und entfernter Verwandter. Dort lernte er, mit wenig Essen klar zu kommen. Er begann, wie sein Grossvater, Englisch und Deutsch zu lernen. Und er besass einen eigenen Funktransistor, eine Trophäe. Also hörte er Nachrichten aus England, aus den USA, aus Berlin und aus Moskau.
Im Frühjahr 1942 entdeckten die Nazis im Stadtpark Winniza die Spuren eines Massengrabes der Opfer von Stalins Repressionen. Insgesamt fast 10.000 Leichen. Dem haben sie zunächst keine Bedeutung beigemessen. Doch im Mai 1943, als sich die sowjetischen Truppen – von Osten kommend – bereits Winniza näherten, eröffneten die Nazis das Begräbnis, und zwar öffentlich.
Die Nazis verwendeten diese Opfer für ihre Propaganda. Und mein Grossvater erfuhr davon, per Rundfunk. Die Angehörigen der Opfer wurden zur Identifizierung zur Grabstätte eingeladen. Mein Grossvater beschloss im Alter von 13 Jahren, nach Winniza zurückzukehren. Am 20. März 1944 „befreiten“ die Truppen der 1. Ukrainischen Front die Stadt Winniza. In den Jahren des Grossen Vaterländischen Krieges wurden 118 lokale Partisanen der Region Winniza mit dem Titel des Helden der Sowjetunion ausgezeichnet.
Während des Krieges verringerte sich die Einwohnerzahl der Stadt von 100.000 auf 27.000. Von 50 Industrieunternehmen überlebten nur 10. Es wurde mehr als ein Drittel der Wohngebäude zerstört. Mein Grossvater besuchte das Massengrab und identifizierte mit Hilfe seines Cousins die Leichen seiner Grosseltern. Er übertrug selbst ihre Knochen auf einen jüdischen Friedhof. Er war sich darüber bewusst, dass man keiner Ideologie und keiner Politik Glauben schenken darf: weder der sowjetischen noch der deutschen oder amerikanischen. Sein Grossvater war mit den Beamten des Zaren verbunden, wurde aber trotzdem enteignet und Opfer von Stalins Repressionen. Sein Vater und seine Mutter starben durch die Nazis. Wegen links- und rechtsradikaler Ideologien verlor mein Grossvater alle seine Verwandten. Im Alter von 17 Jahren lebte er alleine in einem Keller. Er verkaufte Eintrittskarten im Stadttheater von Winniza und las englische Klassiker bei Kerzenschein. Am Wochenende ging er ins Kino. Er ging damals mit verschiedenen Mädchen aus. Und er ging auch jeden Tag zum Fluss Südlicher Bug hinunter, um sich zu waschen und um zu schwimmen.
Dann diente er drei Jahre lang in der Armee, in Taiga. Später in Nalchik im Fernen Osten. Die Reise dorthin dauerte mehr als einen Monat, in einem Güterzug in einem kalten Waggon zusammen mit Heu und Kühen. Dort erkrankte er an Gelbsucht. Aber er war abgehärtet. Auf wundersame Weise überlebte er das auch noch. Er kehrte aus Nalchik zurück und trat in die Sportfakultät der Universität von Winniza ein. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits ein ausgezeichneter Schwimmer im Crawl-Stil, gewann Preise. In seinen Studienjahren lernte er in einem Englischkurs meine Grossmutter kennen. Sie war Studentin und Absolventin der Moskauer Universität und stimmte zu, einen preisgekrönten Sportler zu heiraten. Nach seinem Abschluss übernahm er die Position eines Crawl-Trainers bei Winniza’ Sportsgewerkschaftsbund. Seine Frau übernahm als Ingenieurin die Abteilung der Süsswarenfabrik. Natürlich hatten sie als junge Familie gar keinen Platz zum Wohnen. Darum stellte ihnen die kommunistische Partei der ukrainischen Republik eine Wohnung zur Verfügung. Freundlicherweise.
Es war eine Zwei-Zimmer-Wohnung, Wohnfläche 42 qm. In einem neu erbauten Gebiet am Stadtrand von Winniza. Die Wohnung hatte zu dieser Zeit nur ein Luxuselement – einen kleinen Balkon. Als mein Grossvater in die Wohnung einzog und zum ersten Mal auf diesen Balkon ging, bekam er fast einen Herzinfarkt, obwohl er ein Profisportler war und sonst immer einen äusserst gesunden Lebensstil führte. Was denken Sie, warum?
Der Blick vom Balkon öffnete sich über den Fluss Südlicher Bug direkt zum Steinbruch! Zum Steinbruch seines Grossvaters! Zu einem riesigen schwarzen Loch, das von ihm übrig geblieben ist. Die böswillige Ironie der kommunistischen Partei der Ukrainischen Republik konnte angesichts dieser„Freundlichkeit“ nicht geleugnet werden.
Somit war mein Grossvater, der mit drei Frauen – seiner Frau, Tochter und Schwiegermutter – auf einer Wohnfläche von 42 qm lebte und bis zum Ende seiner Karriere in der Sportgewerkschaft für ca. 130 Rubel (damals etwa 22 US-Dollar!) monatlich arbeitete, durch die „Güte“ der kommunistischen Partei gezwungen, den Blick auf die reichen natürlichen Ressourcen zu geniessen, die eigentlich ihm gehörten. Als er auf dem Balkon seiner kleinen neuen Wohnung stand, schloss sich der Kreis meiner Familiengeschichte.
An diesem Tag wurde mein Grossvater abergläubisch. Und an diesem Tag zündete er die erste Zigarette in seinem Leben an. Seitdem waren die Morgenzigarette und der Kaffee die einzigen schlechten Angewohnheiten meines Grossvaters. Jeden Morgen begrüsste er die Morgendämmerung mit einer Tasse Kaffee in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand. Jeden Morgen, bis zum 5. Februar des Jahres 1998, als wir nach Deutschland auswanderten, blickte er auf die Landschaft der ukrainischen Stadt. Vor dem Haus befindet sich heute immer noch ein grüner Streifen. Hinter dem grünen Streifen befindet sich immer noch der Fluss Südlicher Bug. Es gibt immer noch Felsen jenseits des Flusses. Granitfelsen.
Im Leben hängt fast alles davon ab, wo du geboren bist.
4. Zerfall der Sowjetunion
Umkehrung von Macht-, Geld- und Sex-Verhältnissen
Mein Grossvater stieg beim Sportgewerkschaftsbund zum Sportgruppenleiter auf. Höher konnte er als Nachfahre jüdischer Kaufleute nicht aufsteigen. Er fuhr aber sowjetische Mannschaften zu internationalen Wettkämpfen und zu olympischen Spielen. In Frankreich, Italien und Deutschland traf er sich mit Sammlern, Tänzerinnen und Schauspielerinnen. Einmal in den 1970ern war er nahe daran, seine Mannschaft in einem Hotel in Westberlin zu verlassen, zur Ausländer-Behörde zu rennen und politisches Asyl zu beantragen. Er verspürte Gewissensbisse, da meine Oma und meine Mutter in der UdSSR bleiben würden. Und sie hatten keine Chance wegzukommen. Also kehrte er zurück und blieb in der Sowjetunion bis zu ihrem Zerfall. Er blieb für weitere 20 Jahre in einem Land, aus dem er schon immer weggehen wollte. In einem Land, das er grundsätzlich gar nicht mochte. Noch weitere 20 Jahre musste er vom Balkon seiner 42 Quadratmeter Wohnung die Gegend rund um ein schwarzes Loch anschauen, die ihm gehörte.
Am 24. August 1991 erhielt die Ukraine ihre Souveränität. Über den Zerfall der Sowjetunion ist in Deutschland eher wenig bekannt, in der Schweiz noch weniger. Offizielle Studien verraten, aus meiner Sicht, wenig Wahres zu diesem sehr heiklen Thema. Das liegt in der Natur der offiziellen politischen und historischen Studien: Sie zeigen auf, was ihre Autoren aufzeigen wollen. Die offizielle Geschichte ist das Narrativ der Gewinner, hat ein Freund einmal gesagt. Das heisst, grob formuliert, wer gewinnt, der schreibt die Geschichte. Und falls niemand auf Dauer gewinnt, wird die Geschichte immer wieder neu geschrieben, wie die ukrainische Geschichte, zum Beispiel.
Ich durfte den Zerfall der Sowjetunion als Kind und junger Erwachsener miterleben, von innen sozusagen. Ich war damals circa so alt wie mein Grossvater, als der Zweite Weltkrieg begann. Und ich kann sagen, dass in den Jahren von 1990 bis 1994 – am Anfang meiner Pubertät – gewaltige Mengen an Energien freigesetzt wurden. Mit Energien meine ich vor allem folgende drei Elemente oder Kräfte: Macht, Geld und Sex. Ein Riese fiel. Sein Körper lag zerstört und auf dem Boden zerstreut. Innerhalb kurzer Zeit wurden die politischen Gewichte in dem riesigen Land (1/6 der Erdoberfläche!) völlig neu verteilt.
Die früheren Machthaber aus der Zeit der Sowjetunion wurden zum Teil ganz entmachtet. Und „kleine Leute“, die von der Macht früher kaum etwas gehört haben, die ukrainischen Nationalisten, zum Beispiel, gewannen plötzlich an Macht. Zum Teil geschah dies infolge irgendeiner Logik, wenn auch meistens einer fragwürdigen, tragikomischen. Zum Teil aber auch ohne jegliche Logik, fast schon zufällig. Eine am Anfang kleine patriotische ukrainische Bewegungen, Der Rukh, wurde plötzlich grösser. Den Begriff „Patriotismus“ mag man ja sehr unterschiedlich auslegen. Ich machte mit den ukrainischen „Patrioten“ meine eigenen Erfahrungen, die als Jude nicht immer nur positiv waren, eher negativ. Anderseits war es mit den „Patrioten“ aus Russland oder in der UdSSR, die nun plötzlich entmachtet wurden, nicht viel anders, genau gleich oder sogar schlimmer. Als Jude hat man kaum eine Wahl als das kleinere Übel zu wählen. Darum hielt ich schon immer wenig von Nationalbewusstsein und Patriotismus.
Wie dem auch sei: Ob russische, sowjetische oder ukrainische Patrioten – die Machtverhältnisse waren schnell gekippt. Vor allem kamen (wie fast immer) gerade die Menschen an die Macht, die ein grosses Mundwerk und ein grosses Ego hatten: Mitglieder neu gegründeter Interessengemeinschaften und Parteien. Die stillen, introvertierten, suchenden Menschen verfügten nie wirklich über irgendeine Macht, es sei denn, die Macht ihrer Gedanken und Phantasien. Wie bei jeder Revolution hatten gerade solche Menschen es noch viel schwieriger. Die Künstler hatten nichts und hatten am meisten gelitten.
Von den Reichen gab es in der Sowjetunion wirklich wenige, im europäischen Sinne. Aber die Milliardäre im Untergrund gab es ja, und einige von ihnen wurden innerhalb von 1-3 Jahren zu den „Gutbürgerlichen“. Die früheren Gutbürgerlichen verarmten jedoch. Und die Armen wurden sehr arm bis elend. Das war schlimm, denn zu Letzteren gehörte nun auch meine Familie.
Dafür gab es zahlreiche Neureiche – Menschen, die schon immer arm waren, jedoch plötzlich zu Geld kamen, grösstenteils durch Gewalt. Die Kriminalität der frühen 1990er Jahre ist ein Thema für sich. Die Geschäftsbeziehungen zwischen der Ukraine, Russland und Europa spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Hand der russischen kriminellen Banden reichte damals nicht nur bis in die West-Ukraine und andere Ex-Republiken der UdSSR, sondern sie reichte viel weiter, bis nach Westeuropa und in die Türkei.
Vor Kurzem hörte ich die Geschichte eines ukrainischen Markthändlers aus der Türkei, dem eine russische Bande auf dem Markt in Istanbul auf lange Zeit „Schutz“ gegen Entgelt, natürlich, angeboten hat. Ich selbst durfte die Gewalten der Macht und des Geldes selbst erfahren: Als zehnjähriges Kind handelte auch ich auf dem Markt in Lutsk, einer Provinz im Nordwesten der Ukraine, wo mein Vater herkommt, und wo damals noch russische Truppen stationiert waren.
Da wir als Nachfolger reicher jüdischer Kaufleute in der Ukraine der 1990er nur wenig zu essen hatten, ging mein Vater nach Brest (Weissrussland), wo er drei Kisten Schokoladenpralinen einkaufte, die ich mit meinen zehn Jahren stückweise verkaufen durfte. Bereits am ersten Tag kam eine Gruppe von 13- bis 18-jährigen Jungs, die alle Russisch sprachen und von mir 25% meines Umsatzes verlangten, den ich mit den Pralinen machte. Wenn ich mich recht erinnere, waren es 5-stellige Beträge, in Karbowantsy, das machte ca. 1 US-Dollar aus, denn der ganze Umsatz belief sich auf 5 US-Dollar pro Tag. Auf meine naive Frage, wofür denn die satten 25% Abgaben bezahlt würden, antworteten sie: „Für den Schutz.“ Ich verstand immer noch nicht, welchen Schutz denn, gegen wen, was ich den Jungs auch gleich mitteilte. „Gegen unseren Staat. Und gegen Leute wie wir!“, antwortete der älteste sarkastisch. Später erklärte er mir, dass sie sich vorerst mit 10 Pralinen begnügen würden, aber eine andere Gruppe, die auf diesem Markt agierte, würde mir gleich die ganze Kiste wegnehmen. Einen Schutz brauchte ich also wirklich, so oder so. Und das stimmte auch, wie ich später herausfinden durfte. Es interessierte niemanden, dass ich noch ein Kind und Kleinhändler war. Obwohl ich mit den russischen Offizierssöhnen und -töchtern in die einzige russischsprachige Schule der Stadt ging, und die Eltern dieser Jungs durchaus persönlich kannte, konnten weder ich noch mein Vater den Vorfall mit der Lehrerin zu meinen Gunsten klären. „Harte Zeiten – harte Menschen – harte Gesetze!“, meinte die Klassenleiterin, sprichwörtlich. Und schon nach einer Woche war mein Geschäft pleite.
Die dritte Gewalt, die seit 1990 sich rasch ausbreitete und immer mehr an Macht, Geld und Ruhm gewann, war der Sexus, das Begehren. Diese Gewalt breitete sich eigentlich am schnellsten aus, noch schneller als die Geld- und Macht-Verhältnisse sich plötzlich auf den Kopf stellten.
Der Markt wrude in der Sowjetunion vom Staat monopolisiert und reguliert. Formell gab es kein Privateigentum und jeder Handel – egal ob mit Textilien, mit Bodenschätzen oder mit dem eigenen Körper – galt als Spekulation. Die Prostitution war genauso verboten wie der Handel mit Äpfeln oder Erdöl. Alles gehörte dem sowjetischen Staat und der kommunistischen Partei: das Erdöl, die Äpfel, dein Körper. Nach dem Fall der UdSSR wurde der Markt plötzlich kaum noch reguliert: Es war gar nicht klar, welche Gesetze gelten und wem die Bodenschätze, Immobilien, Früchte, etc. nun gehörten. Deswegen wurde fast alles rasch von ganz schlauen Menschen privatisiert, für extrem wenig Geld und später wieder für viel höhere Summen verkauft. So entstand in den 1990er Jahre die Oligarchie, die heute noch über die Bodenschätze und die meisten Ressourcen verfügt. Genauso entstanden auch die Prostitution und die Porno-Industrie in der Ex-UdSSR, die bis dahin strengsten verboten waren.
Diejenigen, die früher kaum Sex hatten, hatten plötzlich unersättlich viel Sex. Ich meine damit vor allem die ganz jungen Frauen, zum Teil minderjährige, die früher Jungfrauen waren, sich aber jetzt massenweise prostituierten. Ich berichte keinesfalls aus der Phantasie: Unter solchen befanden sich zum Teil meine russischsprachigen wie auch ukrainischsprachigen Hausnachbarinnen und Schulkameradinnen. Auch viele junge Männer, die früher in sehr konservativen Verhältnissen aufwuchsen und lange unschuldig blieben, jetzt aber auf dem Markt oder bei der Miliz – inoffiziell oder offiziell – als Beschützer dieser Frauen „arbeiteten“, hatten mit ihnen viel Sex. Logisch, oder?
Zur gleichen Zeit entstand in der Ukraine, genauso wie in Russland, plötzlich eine riesige Porno-Industrie. Ich gebe nur ein Beispiel: Der inzwischen bekannte französischer Porno-Regisseur Pierre Woodman (1963) reiste Anfang 1990 in die Ukraine, nach Russland und in die baltischen Länder, um Castings mit über 3000, meistens 18- bis 23-Jährigen unbekannten Erotik-Darstellerinnen durchzuführen. Heute sind einige von ihnen berühmte Pornostars der britischen, französischen, deutschen und der US-Industrie. Potenzielle neue Darstellerinnen wurden Woodman damals von sogenannten „Agenten“ vor Ort vermittelt, die für ihn arbeiteten.
Fast alle Castings wurden vonWoodman persönlich mit Hilfe einer Dolmetscherin durchgeführt. Meistens ging es mit Hilfe der weiblichen Dolmetscherin ganz schnell, bis die Darstellerin sich öffnete und nackt zeigte. Später hatte Woodman bei diesen Castings manchmal selbst Geschlechtsverkehr mit den neuen Darstellerinnen. Das nannte er die Soft-Casting-Version. Mit vielen Mädchen erarbeitete Woodman eine zweite Video-Version im „Gonzo“- oder Hard-Style, die bei Produzenten wie Private und Hustler in über 60 Ausgaben erschienen. Woodmans Erfolg war so gross, dass er drohte, den Markennamen Private zu überstrahlen.1999 – auf dem Höhepunkt seines Erfolges – und dem Ende der grössten Wirtschaftskrise in der Ex-UdSSR, wechselte Woodman mit einem Vertrag über 5 Mio. USD zu Larry Flynts Hustler Porno-Imperium. Nach verschiedenen Angaben bezahlte er in Osteuropa seinen Darstellerinnen für ihr Debüt zwischen 100 und 500 USD.
In den Kommentaren zu unzähligen Woodmans Castings findet man viele Bestätigungen, wie es in den 1990er Jahren in der Ukraine und Russland mit dem Sex hin- und herging, zum Beispiel einen solchen Kommentar im O-Ton:
„I worked in Russia, mainly in Moscow, in 1994 and again in 1996/97. After the fall of communism the Russian economy and finances collapsed twice in the 1990s, which meant that millions of Russians were wiped out twice, not that they had much under communism anyway, so you could pick up innumerable, beautiful Russians for sex if you had hard currency, especially USD. I was paid in USD and GBP and I lived in the National Hotel, one, if not the best at that time in Moscow. Consequently, I had my pick of these nubile, teen beauties and MILFs, too. In fact, the MILFs were often far better pieces of succulent, enthusiastic fuck meat than the teens. It changed after 2000 with the rise in commodity and energy prices which lifted the Russian economy and finances so that the supply of these little beauties declined and the price went up dramatically.“
Und Herr Woodman war natürlich mit Abstand nicht der einzige, der in der Ukraine durch Sex grosses Geld verdiente. In der Ukraine hat sich auch in den 2000er Jahren in wirtschaftlicher Hinsicht eher wenig geändert, denn die Ukraine hatte kein Erdöl oder Gas, das sie in den Westen verkaufen konnte. Der Preis für schnellen Sex eines Russen, Briten, Deutschen, Franzosen sowie anderer Westeuropäer mit einer Strassen-Prostituierten fiel in der Ukraine in den 1990er Jahren zeitweise unter 10 USD. Haben die Frauen das nur aus Not gemacht? Oder einige auch aus Liebe zur Sache? Wollten sie eine Berufung draus machen? Oder einfach einen reichen Ausländer heiraten?
Das denke ich nicht. Ich frage nur, ob billiger Sex mit einer ukrainischen Prostituierten Ruhe und Frieden in einem Land gefördert haben kann, das bereits durch so viele Krisen und Exzesse im Innersten erschüttert war?
Doch diejenige, meistens „normale“ Leute, die früher regelmässig Sex hatten, bekamen plötzlich keinen oder nur noch sehr wenig Sex. Damit meine ich vor allem Menschen wie meine Eltern, die früher in langfristigen und befriedigenden Partnerschaft zusammenlebten, aber durch krasse politische Umstände, den Riesenstress und die rasche Verarmung plötzlich andere Sorgen und Bedürfnisse hatten als sexuelle. Die sogenannte sexuelle Befreiung, die in Europa mit den Protesten der 1968er einherging, begann in den Ländern der Ex-UdSSR erst nach dem Zerfall der Sowjetunion.
Und die Ausbreitung dieser Gewalt geschah nicht ohne Gewalt. Die tragischen Folgen der sogenannten sexuellen Befreiung nach dem Fall der Sowjetunion für die Ukrainer:innen – und mit ihnen für ganz Europa – wurden in einigen Romanen und wissenschaftlichen Arbeiten beschrieben. Ohne durch sexuelle Fragen den Rahmen des Vorworts zu einem Kriegsprojekt zu überschreiten, möchte ich aber an dieser Stelle fragen, ob die literarischen Werke und die wissenschaftliche Aufarbeitung die ukrainischen Betroffenen – Opfer, Täter und Aussenstehende – trösten können? Mich jedenfalls nicht.
Und was hat das denn mit anderen Menschen in der Ukraine gemacht, dass der Sex – die dritte oder die fünfte Gewalt – plötzlich so stark über ihren Alltag bestimmte? Ich lasse euch Schweizer:innen, Westeuropäer:innen, US-Amerikaner:innen das selber erahnen. Denn man kann das hier im „Westen“ nur erahnen – erfassen kann man das als Europäer:in oder als US-Amerikaner:in nicht. Ich lud zum WAR!-Projekt zwei männliche Künstler ein, die sich zusammen mit zwei weiblichen ukrainischen Geflüchteten mit dem Thema Sexualität explizit auseinandergesetzt haben. Dafür gibt es im Projekt auch eine spezielle Kategorie, „Mann und Frau im Krieg“. Natürlich stellt die Sexualität nur einen Teil des individuellen und kollektiven Kulturaustauschs dar. Doch im speziellen Fall der Ukraine – einen sehr wichtigen Teil.
5. Die wilden Zeiten
Die 1990er Jahre waren in allen Ex-Sowjetrepubliken grundsätzlich wild, verbunden mit ganz viel Leid, Schmerzen, Verlust, Armut, Elend, Unsicherheit, Willkür. Aus meiner Sicht war es damals noch deutlich mehr als heute, wo der Ukraine-Krieg große Medienaufmerksamkeit erfährt, auch wenn sehr viel humanitäre und militärische Hilfe fliesst. Damals gab es kaum Hilfe vom „Westen“. Jedenfalls nahm ich diese als äusserst begrenzt wahr.
Und in manchen Ex-Sowjetrepubliken war diese Zeit noch wilder als in anderen. In Russland mussten die Menschen für den Winter Vorräte an Essen, vor allem Fleisch und Konserven, anlegen. In Georgien gab es lange Zeit kein Warmwasser und keine Stromversorgung. In der Ukraine stiegen viele auf Selbstversorgung um: Wer keine Datscha oder kein Grundstück hatte, konnte sich bald kein Fleisch oder Fisch mehr leisten, weder frisch noch gefroren. Bald stieg die Inflation auf über 500% pro Monat: Mein Grossvater und meine Eltern haben innerhalb von Tagen ihr ganzes Vermögen verloren, das sie über einen Zeitraum von 20 bis 40 Jahren in der UdSSR mühsam angespart hatten. Damit konnte man sich ein paar Tage zuvor noch eine Immobilie leisten, zwei Tage später nur noch ein Brot. Ja, die Freiheit, die Незалежнiсть (Unabhängigkeit, Souveränität), kann manchmal auch sehr teuer kommen. Nach dem Referendum, bei dem sich die Ukrainer für ihre Unabhängigkeit entschieden haben, brachen viele Geschäftsbeziehungen zu Russland ab und neue mit Ost- und Westuropa gab es noch nicht. Auch meine Eltern stimmten für die Souveränität der Ukraine, obwohl mein Vater halbherzig blieb: Als Jude hatte er wieder mal nur eine Wahl zwischen einem extrem grossen und einem sehr grossen Übel. Nun waren wir zwar alle endlich „frei“, sassen aber – schon wieder – auf dem Trockenen.
Meine Eltern bekamen ihre Löhne in Zucker, Wodka oder Reis. Ein 50-Kilo-Sack Zucker da, zwei 25-Kilo-Säcke Reis dort, drei Kisten Wodka hier. Diese Waren mussten wir gegen andere Waren eintauschen, da Bargeld gar keinen Wert mehr besass: Einige tapezierten mit den 1000-Rubel-Banknoten ihre Bäder und Schlafzimmer. Das Tauschgeschäft lief nicht rund, weil sehr viele plötzlich Mengen an Wodka, Reis oder Zucker hatten, aber kaum jemand hatte Fisch oder Fleisch. Wir konnten uns bald auch keine Eier mehr leisten, sondern nur noch Getreide und Gemüse. Selbst Obst war im Sommer knapp und im Winter gar nicht vorhanden. Wenn ich diese Umstände mit dem heutigen Krieg in der Ukraine vergleiche, frage ich mich, ob das Land sich nicht bereits damals, in den Jahren 1992-1994, in einem Krieg mit Russland befand?
Meine Grosseltern wussten: Dieser Krieg wird sich ausweiten; er wird früher oder später auch mit militärischen Mitteln geführt. Mit ihrer 100-jährigen Erfahrung kannten sie sich viel zu gut mit der Geschichte beider Länder aus. In der Westukraine gab es einen sehr starken Rukh, aber kaum Essen – in einem Land, das für seine Landwirtschaft ja weltbekannt ist! Die Ostukrainer im Donbass hatten genug zu essen, weil sie über genug Kohle, Industrie und über gute Kontakte nach Russland verfügten. Eine Spaltung der Ukraine lag bereits damals in der Luft. Wie es aber meistens ist, wollten die Wenigsten es wahrhaben. Unter denen, die es früh erkannten, waren die jüdischen Menschen, die innerhalb von 2-3 Jahren aus ehemals jüdischen Städten wie Winniza wegzogen. Sie gingen nach Israel, in die USA, Kanada oder nach Australien. Sie durften nun endlich weggehen. In der UdSSR war das ja nicht möglich.
Auch mein Grossvater entschied sich zusammen mit der ganzen Familie zu gehen. Es war bei uns schon sehr lange ein Thema. Vor allem: Wohin? Wir erfuhren, dass der deutsche Staat nach der Wende auch jüdische Aussiedler aus den ehemaligen Sowjetrepubliken aufnehmen würde. Ja, Deutschland stellte den Juden aus dem Osten damals eine Wohnung, eine Krankenversicherung und etwas Geld zum Leben zur Verfügung, wie es heute die meisten EU-Länder für die Ukrainer tun. Das war verlockend, weil meine Mutter als Musikerin sowie andere Künstler in der Familie deutsche Kultur und Philosophie schätzten. Dies führte aber auch zu mühsamen Diskussionen, weil sich meine Grosseltern noch sehr gut an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust erinnerten.
Ich war damals 12 Jahre jung und interessierte mich für die Geschichte und für fremde Ländern. Ich kannte mich sogar ein wenig mit verschiedenen politischen Systemen aus:
„Was ist mit der Schweiz?“ – fragte ich meine Mutter an einem Tag:
„Warum gehen wir denn nicht in die Schweiz? Das Land ist viel schöner, reicher, kleiner und hat 4 Mal so viel Landessprachen wie Deutschland. Und dort wurden Juden niemals vernichtet oder verfolgt. Soviel ich weiss…“
„Keine Chance!“ – antwortete die Mutter:
„Die Schweiz ist so elitär. Die nimmt bestimmt keine Juden auf!“
Ich konnte nichts dagegen einwenden, weil ich nicht wusste, wo man sich über staatliche Hilfsprogramme informieren konnte. Internet gab es damals noch nicht und Lutsk war eine Provinz. Deutsch sprach damals auch keiner von uns. Es hat darum weitere siebzehn Jahre gedauert, bis ich die friedliche und neutrale Schweiz erreichen durfte. Mein Grossvater stellte den Ausreiseantrag bei der Deutschen Botschaft in Kiew im Jahr 1993. Es dauerte aber fünf ganze Jahre, bis Deutschland unserer Einreise zugestimmt hat. Es war eine grosse und laute politische Kampagne: Es hiess,
„Deutschland will wieder ganz viele Juden aufnehmen!“,
aber in der Tat beeilte sich niemand, die ukrainischen Juden aufzunehmen, die in der Zwischenzeit fast verhungerten.
In diesen fünf Jahren haben wir alle unsere Vorräte aufgebraucht. Mein Grossvater verkaufte alles, was er noch auf der Seite hatte: die Briefmarkensammlung der britischen Kolonien, ein paar Goldmünzen, Familienschmuck aus drei Generationen. Die deutsche Bürokratie arbeitete aber sehr langsam. Als die Einladung kam, mussten wir gerade unsere kleine Wohnung für einen vierstelligen Betrag verkaufen, um die Gebühren für eine Vielzahl neuer Dokumente, die Fahrkarten und die neue schicke Kleidung bezahlen zu können. Meine Mutter wollte doch in einem zivilisierten Land wie ein zivilisierter Mensch aussehen. Aus der Literatur hatte sie Vorstellungen von Deutschland, die aus dem 18. oder 19. Jahrhundert zu kommen schienen. Niemand von uns wusste, dass in Deutschland kaum noch eine junge Frau wirklich auf schicke, weibliche Kleidung achtete. Aber einige in der Familie gingen nur halbherzig nach Deutschladn und fragten sich, ob sie lieber doch nicht nach Israel auswandern sollten. Sie sagten, dass die Geschichte ja dazu neigt, sich zu wiederholen. Und sie hatten recht. Wenn in Deutschland in 2 bis 5 Jahren die Rechts- oder eher Linksradikalen die Mehrheit bilden werden, würde es niemanden in meiner Familie wundern.
Wir kamen also erst im Jahr 1998 weg. „Ah, noch lange vor dem Krieg“, sagen heute meine Landleute, wenn sie erfahren, dass ich vor 25 Jahren das Land verliess. Für mich fühlte es sich aber damals so an, als ob ich mitten im Krieg aufwuchs, in einem Krieg, der niemals endete, und als ob ich mitten im Krieg wegkam. Schliesslich bekam auch ich damals den Flüchtlingsstatus.
Aber auch in Deutschland lebte ich lange unter dem offiziellen Existenzminimum und in der Unsicherheit. Während der acht Jahre in Ausbildung und später als Student musste ich mit 430 DM bis 580 € BAföG auskommen. Ich begreife es bis heute nicht, warum Personen in der Ausbildung und Vollzeitstudenten in Deutschland deutlich weniger Geld bekommen als Sozialhilfeempfänger, die grundsätzlich nichts tun. Danach, nach dem Kunststudium an einer Elite-Uni, war ich für fast alle Stellen auf dem freien Markt überqualifiziert und landete schliesslich in der Sozialhilfe. Ob der Sozialstaat wirklich so gut funktioniert, wie uns das damals in der Ukraine erzählt wurde? Nein, wir hatten alle eine rosa Brille auf. Dabei konnte ich nicht genau wissen, wann der nächste Schlag aus dem Osten, durch Russland kommen würde. Oder vom Westen, seitens der USA. Die Spaltung der Ukraine zwischen dem Osten und dem Westen, die wie ein roter Faden ihre ganze Geschichte durchzieht, prägte sich mir für immer ein. Der Ohnmacht ausgesetzt zu sein, egal welche Seite du wählst: Es ist fast nie gut, sondern nur mehr oder weniger schlecht. Du wirst immer verlieren, du bezahlst mit dem Leben, mit der Lust, mit dem Geld oder mit deiner Familie. Wenn man das Schicksal der Ukraine wirklich ein bisschen begreift, macht das mich – und seit Kurzem auch einige Schweizer und Schweizerinnen, die sich für die Geschichte dieses Landes interessieren – betroffen, traurig und still.
6. Der Aufbruch ins dritte Jahrtausend unter dem Vorzeichen des Krieges
Die letzten 22 Jahren der ukrainischen Geschichte lesen sich für mich wie eine selbsterfüllende Kriegsprophezeiung. Es gab für meine Familie und für mich eine ganze Reihe klarer Anzeichen, dass alles auf einen Krieg mit Russland hinauslaufen würde, noch lange vor 2014 (Annexion der Krim). Und es ist nicht nur die expansive Aussenpolitik Putins, für den die Ukraine bloss ein weiteres Land war und bleibt, das es durch Russland zu okkupieren gilt. Das Existenzrecht der Ukraine als Staat stellte Putin schon damals immer wieder öffentlich in Frage. Nur – fast niemand nahm ihn damals ernst. Ich als Aussenstehender sah nach 1998 viele Anzeichen dafür. In Russland wurde seit 24 Jahren kein Präsident gewechselt (mit formeller Unterbrechung von 2008 bis 2012). In der Ukraine aber gab es 5 Präsidenten. In Russland gab es während dieser Zeit kleine und grosse Proteste, jedoch keine einzige Revolution. In der Ukraine aber gab es mindestens zwei Revolutionen, denen verschiedene Regenbogenfarben zugeteilt wurden. Jede nächste Revolution ging mit mehr Korruption einher. Mit dem gleichen Ergebnis: the poor stay poor, the rich get richer. Einige meinen, dass sich in der Ukraine in dieser Zeit eine Art „Mittelschicht“ herausbildete. Ich bekam sehr wenig davon mit als ich während dieser Zeit drei Mal die Ukraine besuchte (ich hatte eine ukrainische Ehefrau). Im Grunde genommen halte ich persönlich die Russen und die Ukrainer für nicht sehr verschieden, von ihrer Kultur und Mentalität her. Aber eins unterscheidet sie voneinander: Die Russen sind ein Volk der Diener. Wenn man die Geschichte Russlands studiert, merkt man, dass sie einen Zaren brauchen, und sie dienen gerne dem Zar. Sie brauchen auch seine harte Hand, die sie grundsätzlich gerne haben, sonst verlieren sie sich in ihren vielen Exzessen und Trinkgelagen. Die Ukrainer dagegen sind ein freiheitsliebendes Volk. Sie können die Zaren nicht leiden, vor allem nicht die harte Hand des Zars. Aus meiner Sicht hat dieser Hang zur Freiheit bei den Ukrainern manchmal extreme, zum Teil anarchische Züge, was – wenn man die Geschichte der Ukraine studiert – anhand von einigen nicht immer konstruktiven Aufständen exemplarisch festzustellen ist. Wie sollte das gut gehen: drei Revolutionen, ungeheure Korruption, der Untergang der Wirtschaft, die sexuelle „Befreiung“ und die immer weiter wachsende Kluft zwischen Arm und Reich? Es ging nicht „gut“ zum Teil auch, weil die Ukrainer keinen einzigen ihrer sechs Präsidenten liebten. Nun müssen sie Wolodymyr Selenskyi lieben, wenn sie ihr staatliche Existenz behalten und der ganzen Welt beweisen wollen, dass es sie als Volk und als Staat gibt.
7. Dualistisches Kriegsdenken und einige gewagte generelle Statements
Wenn man nur noch dualistisch denkt, und zu Kriegszeiten ist man leider fast gezwungen dualistisch zu denken, dann kann man die Länder der Welt grob in zwei Kategorien aufteilen. Der ersten Kategorie der Länder gehören kleinere Länder an, wie die Schweiz, der Staat Liechtenstein, Israel oder die Ukraine. In diesen Ländern sind die meisten Menschen eher bescheiden, sensibel und feinfühlig; viele von ihnen sind intelligent und komplex gestrickt. Allein schon deswegen macht es gar keinen Sinn für sie, andere Länder militärisch anzugreifen. Leider haben solche Länder meistens einen größeren Nachbarn, wie Russland, China oder die USA.
In diesen Ländern sind die meisten Menschen grob, arrogant, primitiv und nur wenige besonders intelligent, zumindest wie ich es aus meiner Erfahrung beurteilen kann. Jede Länderkategorie hat etwas, was man als ihr Schicksal oder Karma bezeichnen kann. Die kleinen Länder müssen stets schauen, dass sie sich gegen ihre grosse Nachbarn wehren und durchsetzen können. Und die grossen Länder müssen die kleinen stets angreifen und vernichten, damit es niemanden mehr gibt, der ihnen ihr echtes Wesen vor Augen führen kann.
Deswegen gab es immer Kriege, deswegen gibt es Kriege und deswegen wird es immer wieder Kriege geben. Ja, die Schweiz erlebe ich heute als ein eher humanes Land. Sie bildet eine Ausnahme, denn hier wird der Humanismus gross und immer grösser geschrieben, was nicht immer nur schöne Seiten hat.
Aber im Rest der Welt gilt das Gesetz der natürlichen Auslese, immer noch: Niemand hat es abgeschafft, auch wenn sehr viele, die sich nicht daran anpassen können, es nicht wahr haben wollen. Wem die Evolutionstheorie nicht zusagt oder wer glaubt, dass die Gesetze der Natur durch … hmm, humanere? Kulturgesetze – ausserhalb der Schweiz – sich bereits manifestiert haben, der oder die soll sich bitte gründlicher mit dem Phänomen des Sozial–darwinismus befassen. Wie erwähnt, bildet der Ukraine-Krieg in dieser langen Reihe von Ressourcen-Kriegen keine Ausnahme. Deshalb habe ich das WAR!-Projekt in mehrere Zeitabschnitte unterteilt und es auf 5 Jahre angelegt.
Gibt es denn überhaupt einen Ausweg aus dem Krieg?
Vielleicht. Ich antworte mit den Worten von Friedrich Nietzsche:
„Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehen.“